Arteriitis temporalis (ICD-10 M31.6)

Morbus Horton, Arteriitische anteriore ischämische Optikusneuropathie (AAION), Arteriitis cranialis, Riesenzellarteritis. Engl: giant cell arteritis, temporal aretitis

Ätiologie

  • Autoimmunerkrankung mit granulomatös-entzündlicher Riesenzellarteriitis mittelgroßer und großer Arterien
  • Befall mehrerer Zweige der A. carotis externa (gel. A. ophthalmica, Aac- ciliares posteriores), in ca. 10% Aortenbogen, gel. Arteria axillaris, <1% intrakranielle oder koronare Gefäße
  • Inzidenz >50 J: 5-30/100000

Epidemiologie

  • Erkrankungsalter > 50 Jahre
  • w>m
  • Prävalenz im Alter > 50 Jahren ca. 1:1000

Symptome

  • Uni- oder bilateraler frontotemporaler gel. auch occipitaler Kopfschmerz (bei Affektion der Arteria occipitalis)
  • Dauerkopfschmerz
  • Überempfindlichkeit der Kopfhaut temporal/occipital ("scalp tenderness"), selten Kopfhautnekrosen
  • Kauschmerzen (Claudicatio masticatoria), Sprechschmerzen
  • Augenbeteiligung:
    • Visusminderung:
      • Affektion der Ziliararterien
      • Amaurosis fugax
      • Gesichtsfeldausfälle
      • erst einseitig, im Verlauf doppelseitig möglich
    • Ptosis (selten)
    • Doppelbilder (selten)
    • Pupillotonie
  • Gel. Fieber
  • Abgeschlagenheit
  • Gewichtsverlust
  • Häufig begleitende Polymyalgia rheumatica (dann ICD-10 M31.5)
  • Diagnostisch verwertbare rasche Besserung der Symptomatik auf Kortisontherapie
  • Selten begleitende Ischämie im Posteriorstromgebiet o. Hirnstamm
  • Bei Beteiligung des Aortenbogens:
    • Claudicatio Symptomatik der Arme

Besonderheiten bei der klinischen Untersuchung

  • Palpation A. temporalis superficialis
    • Verdickt palbabel, gel. Knötchen
    • Pulslosigkeit
    • Druckschmerz
  • Fundoskopie:
    • Papillenschwellung, gel. Blutungen "cotton-wool spots"
  • Auskultation A. carotis, supraclavikulär
  • Bei Beteiligung Aortenbogen:
    • Abgeschwächte Handgelenkspulse
    • Blutdruckdifferenz der Arme
  • Klinische Untersuchung hinsichtlich begleitender Polymyalgia rheumatica

Diagnosekriterien

Kriterien der ACR (American College of Rheumatology)

  • Alter mind. 50 Jahre
  • Neu aufgetretener umschriebener Kopfschmerz
  • Empfindlichkeit der Arteria temporalis oder verminderter arterieller Puls de A. temporalis
  • Blutkörperchensenkungsgeschwindigkeit >50mm in der ersten Stunde
  • Pathologische Arterienbiopsie mit mononukleärer Infiltration oder granulomatöser Entzündung

3 von 5 Kriterien müssen erfüllt sein

  • Sensitivität von 93,5% und Spezifität von 91.2%

Diagnostik

  • Labordiagnostik
    • Blutbild (Anämie, Leukozytose, gel. Thrombozytose)
    • BSG (Blutkörperchensenkungsgeschwindigkeit)
      • Stark beschleunigt, jedoch nicht obligat!, häufig Sturzsenkung, >90mm/1h)
      • In 5% der Fälle BGS <40mm, in 11% <50mm
    • CRP
      • Erhöht
      • Laut OMERACT US LVV Group Ausschluß einer Arteriitis temporalis bei normalem CRP
    • Antiphospholipidantikörper (ca. 50%), Fibrinogen erhöht
    • Cave: Gel. sog. okkulte Arteriitis temporalis/okulte Form ohne laborchemische Entzündungszeichen! (<5% der Fälle)
    • Serumeiweißelektrophorese: Erhöhung der Akute-Phase-Proteine
    • Autoantikörper gg. Ferritin
  • Biopsie der Arteria temporalis superficialis
    • Ausreichend großes Biopsat (mind. 2 cm), kann auch nach Beginn der Therapie erfolgen, häufig falsch negative Ergebnisse!
    • Vorwiegend mononukläre Zellinfiltration oder granulomatöse Entzündung, "Riesenzellen"
  • Augenärztliches Konsil
  • Duplexsonographie
    • Arteria temporalis superficialis, A. fazialis, A. occipitalis
    • 10-18MHz, hochauflösender Sonde, mit 22MHz besserre Darstellbarkeit
    • Echoarme konzentrische Wandverdickung, (Halo)
    • Intima-Media Dicke >0,3-0,4mm an Ästen der A.carotis externa
    • Intima-Media-Dicke >1mm an Arteria axillaris
  • Kernspintomographie/ Kerpnspinagiographie
    • Fettsaturierte T1-gewichtete mit KM
    • Sensitivität ca. 78%, Spezifität ca. 90%
  • Positronenemissionstomographie:
    • Nachweis entzündlicher Prozesse der großen Gefäße
    • Schlechte Darstellung der kraniellen Gefäße
  • Bei klinischem Verdacht trotz Fehlens von Entzündungszeichen Therapieversuch mit Cortison gerechtfertigt!

 

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  • Bei Visusminderung:
    • Hochdosiertes Methylprednisolon
    • Hochdosierte Kortisontherapie auch bereits bei einmaliger Amaurosis fugax! (Siehe der interessante Fall)
    • Sofortiger Therapiebeginn
  • Sonst Prednisolon oral, langfristige Therapie erforderlich (häufig bis zu 2 Jahre, gel.länger
  • Tocilizumab als Fertigpen oder Fertigspritze
    • Zur Reduktion der Langzeitgabe von Cortison
    • Monotherapie mit guter therapeutischer Wirkung
  • Ev. ASS 
  • Ev. Antazida
  • Bei längerer Therapienotwendigkeit Kalzium Tbl., ev. Vitamin D Substitution
  • Immunsuppressiva bei unzureichendem Ansprechen auf Kortison:
    • Methotrexat 
    • Alternativ Azathioprin
    • Cyclophosphamid 
    • Mycophenolatmofetril
    • Widersprüchliche Studien zu Wirksamkeit der immunsuppressiven Therapie

Verlauf

  • Meist chronischer Verlauf, häufig Behandlung über ca. 2 Jahre oder länger notwendig
  • Bei Visusminderung sofortige Therapie wegen drohender Erblindung (auch des zweiten Auges)

Differentialdiagnose

Der interessante Fall - Patient 1

  • Patientin 75 Jahre alt
  • Vorstellung beim Hausarzt, wegen streng einseitigen Kopfschmerzes rechts temporal
  • Labor: CRP 53mg/dl (Norm <5mg/dl)
  • Überweisung zum Neurologen
  • Patientin berichtet 5 Tage vor Vorstellung beim Neurologen für wenige Minuten eine einmalige Amaurosis fugax rechts
  • Therapiebeginn mit Prednisolon mit 80mg/Tag (geplante Dauer: 10 Tage)
  • Nach 3 Tagen Schmerzfreiheit
  • Nach 6 Tagen unter Therapie mit Prednisolon 80mg plötzlicher Visusverlust mit nur noch residualem zentralen schlitzförmigem Visus
  • Am Folgetag Vorstellung beim Augenarzt:
    • Empfehlung Prednisolon mit 80mg fortzuführen
  • Zwei Tage später Vorstellung beim Neurologen
    • Infusion von 1000mg Methylprednisolon
    • Einweisung in die Augenklinik, dort Fortführung der Infusionstherapie über weitere 4 Tage
  • Trotz Infusion Verschlechterung des Visus mit irreversibler Amaurosis

Schlussfolgerung:

  • Trotz oraler Prednisolongabe konnte eine Amaurosis nicht verhindert werden
  • Bei einmaliger kurzer Amaurosis sollte eine sofortige hochdosierte Gabe von Methylprednisolon erfolgen wegen sonst drohender Erblindung

 

Weiterführende Literatur

Fachartikel

  • Reinhard M., Schmidt D., Hetzel A., Ultraschalldiagnostik bei Arteriitis cranialis , Deutsches Ärzteblatt, 2005; 102:A 3414–3420 [Heft 49]
  • Nees Th., Bley Th., Schmidt W., Lamprecht, Diagnose und Therapie der Riesenzellarteriitis, Deutsches Ärzteblatt 2013 110(21): 376-86

Fachbücher

  • Autoimmunerkrankungen in der Neurologie, Springer Verlag 2011